20 Jahre Huis Clos
Kurzer Gang durch eine virtuelle Ausstellung
door Ralf de Jong
(Huis Clos 25, 2006)
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Zwanzig Jahre können unterschiedlich lang sein. Im Falle des Verlages Huis Clos dauern sie 24 Ausgaben lang (mit der vorliegenden sind es 25). Ein kleiner Verlag - größere erreichen einen vergleichbaren Titelausstoß innerhalb eines Jahres, Halbjahres oder Quartals. Vierundzwanzig Ausgaben, verteilt auf eine Zeitspanne, in der Gestaltung aus den Niederlanden, insbesondere auch die typografische Gestaltung, einen steilen Aufschwung, eine prächtige Blüte und den Sinkflug in die Belanglosigkeit erlebt. Ein Aufschwung, begründet durch Gestalter mit Mut zur eigenen Idee, Freude an der Form und handwerklichem Können. Diese Männer (denn es sind vorwiegend Männer; ich denke an Wim Crouwel, Dick Dooijes oder Gerrit Noordzij) üben großen Einfluß aus; als Lehrer in den Niederlanden, als Gestalter in ganz Europa. Diese Lehrer prägen, auch durch ihre Schüler, das niederländische Design der 80er und 90er Jahre. Seit einigen Jahren zerstört diese Dynamik sich selbst: Erneuerung ist nicht mehr Folge der eigenwilligen Perspektive - sie ist erstarrt zur Haltung an sich. Der Wille zur Form hat die Fesseln der Tradition und der Funktionalität gesprengt. Und weiß nun nicht mehr, wo er Energie, Legitimation und Sinn finden kann.
Hiervon ist nichts in den Ausgaben des Verlages Huis Clos zu spüren. Sie dokumentieren die sehr persönliche gestalterische Entwicklung von Piet Gerards. Er ist die treibende und gestaltende Kraft des Verlages, den er in wechselnden Konstellationen mit Freunden und Weggefährten betreibt. Piet Gerards gehört nicht zu den Leitfiguren der Design-Szene. Er stammt aus den südlichen Niederlanden und hat nicht in Amsterdam oder Den Haag studiert oder gelehrt. Er sucht kein Publikum, sondern gestalterische Lösungen. Manchmal wird er dabei von einem größeren Publikum überrascht. Piet Gerards ist unabhängig. Deswegen ist er auch nicht anfällig für Strömungen oder Moden.
Als Chronist und Laudator der buchgestalterischen Leistung des Verlages dachte ich, die einzelnen Ausgaben vor dem Hintergrund der Designgeschichte erklären zu können. Dieser Versuch ist mißglückt. Piet Gerards ist ein autonomer Gestalter, dessen Werk sich nicht einer gestalterischen Schule zuordnen läßt. Konsequenterweise stehen auch die einzelnen Ausgaben für sich. Sie ordnen sich nicht ohne weiteres ein in die Buchgestaltung der Gegenwart und stehen auch allein in einer Auswahl prämierter Buchgestaltungen. Obschon die Bedeutung des gestalterischen Werks von Piet Gerards durch zahlreiche nationale und internationale Auszeichnungen auf höchstem Niveau und durch die Rezeption in der Fachpresse dokumentiert ist. Ein sperriges Werk - den sperrigen Inhalten durchaus angemessen.
Zwanzig Jahre sind eine Spanne, die ich als Typograf und Kritiker selbst nicht überblicke. Ich beherrschte 1986 [1]* die elementaren Kulturtechniken des Lesens und Schreibens. 1995 [14]* studierte ich in Den Haag; 2000 [20]* war ich im bureau Piet Gerards angestellt; 2004 wurde ich als Professor für Typografie an die Hochschule der Bildenden Künste Saar berufen [23].* Ich will damit deutlich machen, daß ich den eigenwilligen Gestalter und den nicht weniger eigenwilligen Verlag nicht mit den Augen dessen betrachten kann, der ihn vor zwanzig Jahren, noch unbekannt, für sich hat entdecken können. Ich kannte das gestalterische Werk von Piet Gerards, bevor ich die Person kennenlernte. Um später, teilweise in enger Zusammenarbeit, viel von ihm zu lernen und einige seiner Auffassungen von Typografie und Buchgestaltung zu übernehmen.
Lassen Sie sich nicht dadurch irreführen, daß hier zwanzig Jahre Verlagsgeschichte mit zwanzig Jahren Buchgestaltung gleichgesetzt werden: Diese Reduktion ist den Beschränkungen des Chronisten geschuldet und nicht denen des Verlages. Huis Clos publiziert Texte, die auch von publikationshistorischer und literaturwissenschaftlicher Warte aus Beachtung verdient haben. Die schöne Form ist kein Ersatz für inhaltliche Substanz, sie unterstützt diese vielmehr. Piet Gerards macht keine Bücher um seinen Formwillen auszuleben. Dafür bieten die kommerziellen Aufträge im florierenden Gestaltungsbüro Gelegenheiten genug. Er will den Texten Leser zuführen und Projekte unterstützen, die an ihn herangetragen werden oder die er selbst initiiert.

WIE FUNKTIONIERT BUCHGESTALTUNG?
Literaturkritiker, Kunstkritiker oder Architekturkritiker kennen ihre Aufgabe. Sie können sich auf einige, auch bekannte, Vorbilder berufen und beziehen. Sie können bei ihren Lesern Vertrautheit mit den Methoden des Fachs und eine solide Grundlagenkenntnis voraussetzen. Der Typografiekritiker kann beides nicht: Vorbilder, lebende wie tote, gibt es nur wenige - die Leser bringen, soweit es sich nicht um Kollegen oder ambitionierte Amateure handelt, ein bescheidenes Vorwissen mit.
Buchgestaltung wird häufig in der Terminologie der Architektur beschrieben. Das Raster eines Buches, das gestalterische Gerüst, dem die Bilder und Texte jeder Seite eingepaßt werden, ist konstruiert: Flächen und Linien - tatsächliche Linien oder solche, die ausschließlich gedachte visuelle Bezüge markieren - werden proportioniert, ausbalanciert, verworfen und korrigiert. Es gibt tragende Elemente, die die Statik der Seite bestimmen, und es gibt gestalterische Capricen: rein dekorative Elemente. Der Aufriß einer Doppelseite gleicht oberflächlich betrachtet der architektonischen Zeichnung. Ein Vergleich, der noch weiter getrieben werden kann: Das Buch hat mit seinem Umschlag eine Fassade, eine Schauseite. Schlägt der Leser es auf, betritt er die Titelei mit Schmutztitel und Haupttitel - das Entree des Buches. Den Textseiten entsprechen die Räume des Hauses. Register, Anhänge, Impressum und Verlagsanzeigen finden ihre Entsprechung im Keller, in dem die Haustechnik ihre Arbeit verrichtet.
Schlechte Architektur reicht nicht über den Baukörper hinaus; sie formt den Raum, ohne eine zwingende und plausible Vision seiner Nutzung in der Zeit zu liefern. Selbst wenn sie das Lob der Kritik gewinnt, scheitert sie an den Bewohnern - die sich notgedrungen arrangieren. Topfpflanzen lassen unwohnliche Fluchten heimelig erscheinen; Efeu umrankt ansonsten unerträgliche Fassaden.
Schlechte Buchgestaltung darf nicht auf ähnlich viel Geduld hoffen. Leser, das Buch verkehrt herum in Händen haltend, vom Ende zum Anfang blätternd, hier eine Seite herausreißend, um sie dort wieder einzufügen: schwer vorstellbar. Wer an einem Buch verzweifelt, der muß sich nicht arrangieren, der legt es zur Seite. Keine Seltenheit bei der gegenwärtigen Buchgestaltung, die mehr Wert auf Originalität denn auf Funktionalität legt.
Die Arbeiten von Piet Gerards sind weder architektonisch noch grafisch gedacht. Sie betonen zwei Aspekte, die in beiden Disziplinen keine wirkliche Entsprechung finden: Zeit und Haptik. Das Buch ist ihm ein kinetisches Objekt. Im Ablauf des Buches soll die inhaltliche Gliederung sichtbar werden. Und die Leser reagieren auf diese visuelle Verstärkung des Inhalts. Seine Gestaltung will darüber hinaus, parallel zum, aber unabhängig vom Text, einen visuellen Spannungsbogen aufbauen, der die Textebene paraphrasiert. Die Abfolge der Doppelseiten wird mit rhythmisch wiederkehrenden ebenso wie arhythmischen Elementen gestaltet, wodurch die Zeit zum gestalterischen Thema wird. Das Raster gewinnt so eine doppelte Bedeutung: Es gibt Halt und Ruhe - und ermöglicht erst den Ausbruch aus dem Vorhersehbaren, das Loslassen des gestalterischen Gerüstes.
Die Haptik ist für die Wahrnehmung des Buches als Objekt ebenso wichtig wie die Form - und wird doch selten hinterfragt. Vielleicht, weil sie unmittelbarer wirkt; weil taktile Reize an der ästhetischen Wahrnehmung vorbei direkt das emotionale Zentrum berühren. Bücher von Piet Gerards wollen gestreichelt werden - und sie schmeicheln ihrerseits den Händen der Leser. Die Materialien sind häufig ungewöhnlich und die Oberflächenstruktur ist immer reizvoll: Die Papiere sind nicht satiniert oder laminiert (allenfalls griffschutzlackiert), sondern es sind Naturpapiere, deren Struktur tastbar bleibt, bei denen auch einzelne Fasern und Einschlüsse gefühlt werden können.
Bücher von Piet Gerards sind einer Ausstellung vergleichbar. Räume, in denen Geschichten erzählt werden, die den Betrachter führen und ihn eine geplante Dramaturgie durchlaufen lassen. Text und Bild greifen ineinander, Ordnung und Gliederung des Themas muß der Besucher selbst erschließen. Der Grad der Inszenierung ist vom Thema abhängig; die Gestaltung kann hinter die Exponate zurücktreten oder sie unterstützen und ins rechte Licht rücken - sie kann auch eigene Akzente setzen und so Teil der Ausstellung werden.
Ich denke mir diesen Text als virtuelle Ausstellung zu den Büchern von Huis Clos. Nun sollen die Exponate nicht chronologisch oder nach Werkgruppen geordnet werden. Der Verlag sowie die Gesundheit des Gestalters sind stabil; dies ist keine vorgezogene Retrospektive. Hier sollen Verständnis für und Interesse an einem laufenden Projekt gefördert werden. Dazu möchte ich Themenräume einrichten, in denen einzelne Aspekte der Buchgestaltung behandelt werden. Diese thematische Gliederung setzt den Kontrapunkt zu den chronologisch geordneten Abbildungen, Reproduktionen der 24 Titel, die den Text begleiten. Textlich soll auch nicht die tatsächliche Ausstellung vorweggenommen werden, eine kleine Jubiläumsausstellung, wo auch immer, alle Bücher zeigend. Eine Ausstellung, die den Betrachter wahlweise auch zum Betaster macht (sofern nicht konservatorische Erwägungen bei einzelnen Ausgaben dies verbieten). Sie wird ebenso interessant wie die jährlich stattfindende Ausstellung der von der cpnb prämierten Buchgestaltungen. Sie ginge weniger in die Breite denn in die Tiefe, sie würde gestalterische Konsequenz und intellektuelle Stringenz an Stelle von Vielfalt der Auffassungen und Breite der Möglichkeiten stellen. (Sorgen Sie dafür, daß diese Ausstellung Wirklichkeit wird! Ein paar stille, kleine Räume genügen: Sie werden viel über Bücher lernen - und über sich selbst, als Leser!)

DER BUCHKöRPER
Wer ein Buch zur Hand nimmt, der spürt Gewicht und Umfang und sieht das Format. Daraus ergibt sich eine erste Einschätzung des Buches. Schwere gebundene Bücher signalisieren einen gewichtigen Inhalt; Broschuren stehen für leichte Kost. Harte, steife Bücher - haben was für einen Textinhalt? Große Bücher und Dünndruckausgaben signalisieren Klassiker. Aus dem Buchhandel wird berichtet, daß Buchkäufer viel Buch für ihr Geld wollen, gemessen in Gramm und Kubikzentimeter. Nun ist der Zusammenhang zwischen Kubatur und Textmenge (um vom Textgehalt ganz zu schweigen) höchstens indirekt und jedenfalls anfällig für Manipulationen durch den Buchgestalter. Die Grammatur (das Papiergewicht je Quadratmeter) kann von 45 Gramm bis 160 Gramm variieren (die Stärke nimmt entsprechend zu). Sogenannte Volumenpapiere, die durch Füllstoffe in der Papiermasse künstlich aufgedickt sind, können die Stärke noch einmal verdoppeln. Schriftwahl, Schriftgröße, Zeilendurchschuß und Satzspiegel sind gestalterische Möglichkeiten, den Umfang eines Buches zu beeinflussen.
Piet Gerards hat für solche Kniffe wenig übrig. Denn er ist, was ihn von vielen Buchgestaltern unterscheidet, selbst in erster Linie: Leser. Er fühlt sich dem Text und den Lesern gleichermaßen verpflichtet. Ein kurzer Text, über die Maße gedehnt, wirkt, ohne Schuld und Zutun des Autors, eitel und lächerlich. Ein Leser, und ganz bestimmt ein Viel-Leser, wird den künstlich erhöhten Platzbedarf im Bücherregal nicht honorieren - von Ermüdungserscheinungen und Verletzungsrisiken abgesehen, die sich aus der Lektüre übergewichtiger Bände ergeben.
Piet Gerards liebt dünne, schlanke und handliche Bände. Was nicht ausschließt, daß manche Inhalte und Zielgruppen nach dem großen Format, nach dem schweren Band verlangen. Dies zeigen die zahlreichen Architekturbücher aus dem Büro deutlich.
Die Nummern eins bis fünf der Huis Clos Ausgaben, alles dünne Bände ohne Rücken, werden noch im Handbleisatz gesetzt und auf einer Andruckpresse (bzw. im Siebdruck) gedruckt. Alle späteren Bände werden im Digitalsatz gesetzt und im Offsetdruck vervielfältigt. Im Zuge des Ausbaus des Gestaltungsbüros in Heerlen ist für die kleine, eigene Siebdruck- und Buchdruckwerkstatt kein Platz mehr. Piet Gerards konzentriert sich auf Gestaltung und Satz; Filmbelichtung, Druckplattenherstellung und Druck werden als bezahlte Aufträge nach außen vergeben. Umfang und Auflage der Publikationen können so deutlich gesteigert werden - auch dank des Gestaltungsbüros, aus dessen Erträgen die Buchproduktion erst finanziert werden kann.
Damit ein Buch wahrgenommen wird, benötigt es nach Jan Tschichold (10 häufige Kardinalfehler der Buchherstellung) einen Rücken, auf dem der Titel vermeldet wird [5]:* ‘9. Gar kein Rückentitel. Unentschuldbar bei Büchern, die über 3 Millimeter dick sind. Wie soll man eine solche Broschüre wiederfinden können? Der Verfasser darf nicht fehlen, denn dieser bestimmt oft den Standort in einer Bücherreihe. Die Nummern eins bis sieben sind: Hefte ohne Rücken, im Bücherregal unauffindbar; dennoch nicht unverzeihbar, da keine drei Millimeter stark. Gleiches gilt für [19],* gestaltet als Magazin und deswegen auch ohne Rückentitel vollständig.’
Erster ‘echter’ Verstoß gegen die Regel: [24].* Durchaus nicht untypisch für Gerards; Regeln dürfen, aus gutem Grund, gebrochen werden. Der Umschlag ist nicht nur seitlich eingeschlagen, sondern auch oben und unten umgelegt. Ausgefaltet zeigt er eine Reproduktion der Titelseite von ‘de New Babylon informatief’ in Originalgröße. Auf der Umschlagvorderseite ist, im rechten Winkel zur Abbildung, eine transparente mittelgraue Fläche übergedruckt, aus der die Titelangaben negativ ausgespart sind. Eine zweite Fläche für den Rücken hätte die Monumentalität und Geradlinigkeit des Entwurfes relativiert. Der gute Grund, das ‘Geschenk’ der Umschlagabbildung (wie viele der zweihundertundfünfzig Käufer mögen sie ausgefaltet gesehen haben?), rechtfertigt hier den Regelverstoß.
[20]* spielt mit der Regel. Zwar hat dieser Band (übrigens einer der stärkeren, 64 Seiten oder fünf Millimeter) einen Rückentitel, dieser ist allerdings unlesbar aus einer extrem schmal laufenden Schrift gesetzt. Dem Wortlaut nach ist Tschicholds Regel befolgt worden, dem Geiste nach wurde sie unterlaufen. In der Praxis funktioniert die Gestaltung dennoch: Der ebenso eigenwillige wie unlesbare Rückentitel bleibt im Gedächtnis hängen. Er verknüpft sich in der Erinnerung des Lesers mit dem Textinhalt - wodurch das Buch im Regal auffindbar ist. Ein Hinweis auf die Bedeutung von Buch- und Textgestaltung für Textwahrnehmung und -erinnerung.
Eine Variation zum Thema Buchrücken: [22].* Die Rückenzeile dieser viersprachigen Ausgabe läuft, wie in den Niederlanden üblich, von oben nach unten - nur der deutsche Titel ist, mitten in der Zeile stehend, gegenläufig gesetzt. Ein Verweis auf unterschiedliche typografische Traditionen. Der Text, eine Parabel auf die niederländischen Profiteure der Judenverfolgung zur Zeit der deutschen Besatzung, wird so gestalterisch in einen breiteren kulturellen Kontext eingebunden.
Auch die kleinen Formate haben ihre Berechtigung - obschon die Relation zwischen Materialaufwand und Textmenge diese bibliophilen Ausgaben bis an den Rand des Grotesken führen kann. 2 bringt es bei acht Umschlagseiten, einem umgelegten Bogen anstelle des hinteren und des vorderen Vorsatzes und zwei Bögen Umfang, immerhin acht Seiten, auf genau eine Textseite. Hier handelt es sich nicht um Eitelkeit, die einen kurzen Text lang und einen belanglosen Text bedeutend erscheinen lassen möchte. Vielmehr führt der Wunsch Regie, für einen kurzen Text eine angemessene Publikationsform zu finden.
Im Lauf der Jahre tritt der bibliophile Charakter in den Hintergrund, die Inhalte werden komplexer und der gemittelte Umfang nimmt zu - vom ersten zum zweiten Jahrzehnt verdoppelt er sich. Die Handarbeit in Satz, Druck und Bindung wird durch Rechner- und Maschinenleistung verdrängt.
Auffällig an dieser informellen Serie ist das Format. Es ist nicht uniform; der strenge Seriencharakter verliert sich spätestens nach [7].* [4],* eine private Gelegenheitsausgabe, soll unberücksichtigt bleiben. Es sind schmale Bände, schmal im Verhältnis zur Höhe, schmaler, als Tschicholds Regeln es für ideal befinden. Dieses Format nutzt im Offsetdruck die gängigen Bogenformate schlecht aus und führt zu unnötigem Papierabfall, der die Produktionskosten in die Höhe treibt. Die umfangreicheren Bände, bei denen der Papierpreis ein deutlicher Kostenfaktor ist, sind wohl auch deswegen stumpfer: ökonomie sticht persönliche Vorlieben.
Die Bände liegen durchgängig angenehm in der Hand, sind biegsam und flexibel und haben ein gutes Aufschlagverhalten, das neben der Bindetechnik maßgeblich auch vom Umfang abhängt. Ein handgenähtes Buch mit wenigen Seiten (genäht in einer Lage) schlägt sich leichter auf als ein industriell gebundenes Buch mit mehreren Lagen. Die Seiten müssen breiter angelegt sein, damit das größere Gewicht der einzelnen Seite es im aufgeschlagenen Zustand stabilisiert. Anders als viele Gestalter, die ‘auch’ Bücher machen, ist hier jemand am Werke, der, seit seiner Zeit als hauptberuflicher Verleger, die inhaltliche, gestalterische und technische Durchdringung von Büchern zu seiner Aufgabe erkoren hat.
Die funktionalen Aspekte der Buchgestaltung sind Piet Gerards wichtig. Hier kommt ihm seine große Erfahrung zugute, zusammen mit seinem guten Gedächtnis. Vieles erklärt sich durch große Sorgfalt und Planung. Er fordert stets Blindbände an, um Gewicht, Format und Aufschlagverhalten eigenhändig zu prüfen, bevor die Entscheidung für ein Material, ein Format oder die Bindetechnik irreversibel ist. Er ist Perfektionist; hat er auch nur den geringsten Zweifel, werden Alternativen erwogen. Auch um den Preis eines mitunter erheblichen Mehraufwandes. Sobald ein Musterband aus der Binderei kommt, wird er kritisch untersucht. Schwächen und Fehler können vorkommen, dürfen sich aber nicht wiederholen.
Aus dem Rahmen fallende Formate innerhalb der Reihe lassen sich aus der Funktion heraus erklären. [3]* gibt den direkten, brutalen Zeichnungen von Joseph Kerff allen Raum. [13]* ist ein Wandkalender - das Format von 43,5 x 43,5 cm erklärt sich aus dem Abstand des Betrachters. [19]* ist als Magazin angelegt und verlangt deshalb nach dem Magazinformat. [21]* muß, damit jedes der kurzen Gedichte auf einer Seite für sich steht, in einem kleineren Format erscheinen. Ansonsten wäre die Zahl der Druckbögen und damit auch der Papierverbrauch signifikant höher. Diese späteren Bände gehorchen anderen Regeln als die frühen bibliophilen Ausgaben. Es wird nicht aus Lust an der Bibliophilie ein passender Text gesucht. Das Projekt bestimmt den Inhalt - der zu vertretbaren Kosten in eine angemessene Form gebracht werden muß. [21]* erscheint anläßlich eines solchen Projekts in der Galerie Signe und im Glaspaleis Heerlen. Als Mitorganisator dieser Veranstaltungsreihe begegnet uns wieder Piet Gerards.
Bei der Materialwahl verläßt Gerards, der kein studierter Grafiker ist, gerne ausgetretene Pfade, um mit ungewöhnlichen Materialien oder mit Materialien in ungewöhnlichem Kontext zu experimentieren. Immer steht die Funktion im Vordergrund, er ist unempfindlich für gestalterische Reflexe und Moden. Gerne kombiniert er sehr unterschiedliche Materialien. Deutlich sichtbar ist der Spaß an neuen Entdeckungen. Bei den frühen Ausgaben wird die Fähigkeit Nuancen zu setzen noch erprobt. Sie wirken - besonders vor der Kulisse späterer Höhepunkte - noch etwas ungelenk. Bei [2]* wird zum Werkdruckpapier ein Buntpapier (grün-grau) mit deutlich sichtbaren Textilfasern für Umschlag und Vorsatzpapier kontrastiert. [3],* noch mutiger: Der Umschlag aus gelbem Buntpapier, die Broschur aus schwarzem Fotokarton. Als Vorsatz findet wieder das bekannte grün-graue Papier Verwendung. Das Auflagenpapier ist gebrochen weiß, matt satiniert, und bringt die Siebdrucke gut zur Geltung. Die starken Farbkontraste werden durch ein unbedrucktes Transparentpapier gedämpft, das einen Teil der Leuchtkraft schluckt. Die wolkige Oberfläche fügt eine neue Textur hinzu; das knisternde Geräusch bei jeder Bewegung eröffnet einen weiteren Erlebnisraum.
Die erste echte überraschung ist [8].* Der Umschlag ist auf Packpapier gedruckt, Broschur und Auflagenpapier sind in einem gebrochen weißen Werkdruckpapier ausgeführt. Rustikale Verpackungsmaterialien begegnen uns auch bei [20],* einer Klappenbroschur aus braunem Verpackungskarton, außen vollflächig schwarz bedruckt. Die Wärme des Materials ist verblüffend, der Druck läßt Tiefe entstehen. Das Schwarz überdeckt den Materialton nicht vollständig. Es läßt Schattierungen zu, einzelne Fasern und Papiereinschlüsse nehmen keine Farbe an. Weiterer willkommener Effekt: Gegenüber dem Schmutztitel bleibt ein schmaler Streifen des unbedruckten Materials stehen und leitet mit seinem mittelbraunen Ton vom Schwarz über zum Auflagenpapier.
Sehr souverän auch [10].* Der Umschlag ist auf hochweißes, leichtes Papier gedruckt, dreifarbig in zarten Tönen; für die Broschur wurde ein stumpfer, dunkelblauer Karton gewählt. Im Innenteil findet das Umschlagpapier wieder Verwendung. Hier fühlt es sich jedoch anders an; der Umschlag ist zum Schutz gegen Verschmutzungen griffschutzlackiert. Die Materialien fügen sich zu einem transparenten, zarten Buch. Seine Schönheit und Verletzlichkeit rühren den Leser an.
[16]* kombiniert, sehr stimmig, sehr überlegen, zum gelblichen Werkdruckpapier für den Text ein hochweißes Bilderdruckpapier für den Bildteil. Bis in die 1960er Jahre hinein sind Werkdruckpapiere nicht für die Bildwiedergabe geeignet. Bilderdruckpapiere andererseits reflektieren das Umgebungslicht. Die feinen Linien der Buchstaben werden überstrahlt, weswegen diese Papiere für die Textwiedergabe ungeeignet sind. Einzige befriedigende Lösung (zu dieser Zeit!) für Bücher mit Text- und Bildteil: Der Textteil wird auf Werkdruckpapier gedruckt; Abbildungen werden zu Bildstrecken zusammengefaßt und auf Bilderdruckpapier gedruckt.
Piet Gerards spielt mit der Erinnerung an diese Zeit, wie es in diesem Band überhaupt verschiedene Anspielungen auf die Bleisatzzeit gibt. Natürlich hat sich seitdem sowohl die Papier- als auch die Reproduktionsqualität dramatisch verbessert. So verwendet er an Stelle des historisch korrekten glänzenden Bilderdruckpapiers ein mattes Papier mit griffiger Oberfläche. Für den Leser ist es angenehmer.
Bei [19]* verfolgt der Materialmix ein rein funktionales Ziel: Die in eine Tasche eingelegten Transparentbögen, einseitig schwarz bedruckt, ergänzen, über die richtige Textseite gelegt, den Inhalt und fügen weitere Textebenen hinzu. Das ungewöhnliche Material schafft hier die Voraussetzungen für einen originellen Umgang mit der Zweisprachigkeit des Textes.

INSZENIERUNG
Der Buchkörper, Format, Gewicht und natürlich die Materialabfolge stehen in einem Bezug zum Inhalt. Die eigentliche Inszenierung ist jedoch eine grafische Aufgabe. Der Umschlag wirbt für das Buch; die Titelei führt auf den Text hin. Sie bereitet auf die visuelle Atmosphäre des Buches vor. Werbung beschränkt sich nicht auf überredung. Werbung ist auch überzeugung; jedes Buch möchte seine Leser finden, möchte sie für sich einnehmen. Buchgestaltung die nicht
wirbt, ist nicht besonders kultiviert, sie ist besonders dumm. Piet Gerards ist ein Meister dieser ‘stillen’ Werbung: Seine Umschläge (ich meine jetzt die besten, und das sind die späteren) zeigen wenig oder nichts. Keine Bilder. Nur Formen und Flächen - und Text. Es sind dennoch nicht eigentlich typografische Umschläge. Die Typografie ist gekonnt, sehr sparsam in ihren Mitteln und reich im Ausdruck. Es sind Bilder, abstrakte Bilder, gemalt mit typografischen Formen und geometrischen Flächen. Höhepunkte sind die Umschläge, die eine große räumliche Tiefe, einen fühlbaren Sog in das Buch hinein erzeugen. Sie sprechen ihr Publikum nicht nur besonders gekonnt an. Sie schaffen sich teilweise erst ihr eigenes Publikum; ein Publikum, welches die Verbindung literarischer Kleinodien mit ambitionierter Gestaltung wertschätzt.
Jeder der Umschläge funktioniert auf seine eigene Weise. Typische Gestaltungselemente führen, abhängig vom Inhalt, immer wieder zu neuen, eigenständigen Ergebnissen. [10]* wird beherrscht von zwei kleinen und einer im Bund angeschnittenen großen Kreisfläche. So scheint es zunächst. Der Größenkontrast, die Spannung, die durch unterschiedliche Abstände, durch Anziehung und Abstoßung erzeugt wird, beherrscht die Flächen. Regt an zu Mutmaßungen und Phantasien über Zweck und (symbolische) Bedeutung. Dann erst fällt die Aufmerksamkeit auf den Text, in zwei Gruppen gegliedert. Ein Blick auf die Umschlagrückseite zeigt: Die größere Kreisfläche wird zur Schnecke. Ein weiteres Element wird sichtbar: eine zarte Zeile voller Notationszeichen. Ihre Wahrnehmung bewirkt eine Umdeutung des Umschlagmotivs; es könnte ein Baßschlüssel sein. (Oder auch nicht; Auflösungen werden nicht gegeben.) Ein mehrschichtiger Umschlag, der sich schrittweise erschließt. Damit dieses Zusammenspiel, die zeitliche Dimension in der Betrachtung, funktioniert, müssen Andeutungen und Irritationen exakt gesetzt werden. Größenverhältnisse und Farbnuancen müssen stimmen. Wären die Notationszeichen ein wenig zu groß gesetzt oder von etwas intensiverer Farbigkeit: Der Betrachter würde zu früh Sicherheit in seiner Interpretation des Gesehenen gewinnen. Die Zeitspanne des Erkennens würde auf einen Augenblick reduziert; die Zeitdimension ginge verloren.
Ganz anders, schlichter und doch ebenso raffiniert, [14].* Ein weißer Umschlag, gebrochen weiß. Darauf zwei gleichgroße, verschiedenfarbige Rechtecke, die sich an einer Ecke überlagern. In jedes der Rechtecke ist, in der jeweils anderen Farbe, der Titel einer von zwei in diesem Band vereinten Erzählungen gesetzt. Die überlappung führt, durch den überdruck der beiden Farben, zur dritten Farbe, einem warmen Dunkelgrau, in dem zwei ausgesparte Worte strahlend weiß erscheinen. über dieser Figur: die Autorenzeile. Schwarz gedruckt, Tiefe erzeugend. Ein Beispiel dafür, wie mittels zweier gebrochener Töne sowohl das Weiß als auch das Schwarz übersteigert werden können. Wie bunt gebrochene Farben sein können!
[18]* ist nur augenscheinlich simpel und wirkt auf den zweiten Blick verstörend. ‘Umschlagabbildung’ ist eine Seite des Textteils (S. 20), auf einen roten Fond gedruckt. In der rechten oberen Ecke wird sie von einer schwarzen Fläche, ebenfalls formatablaufend, überlagert. Autor und Untertitel sind weiß ausgespart, nur der Titel scheint den Durchblick auf den untenliegenden Fond zu gewähren. Dies ist ein gewitztes Spiel mit positiven und negativen Schriftformen, mit echten wie vermeintlichen Durchblicken - und eine Visualisierung der unterschiedlichen Textebenen. Denn es handelt sich bei diesem Band um einen ‘Registerband’ zu einem umfangreichen Romanwerk, eben um einen Text, der sich unter eine zweite Textebene legt. Der neue Bezüge herstellt und vielleicht zu neuem Textverständnis anregt. Eine simple Idee, nicht ganz so harmlos, wie sie auf den ersten Blick zu sein scheint. Die Textkolumne (teilweise) zu verdecken, ist ein aggressiver Eingriff in den Text - gegen Autor und Leser gleichermaßen gerichtet. Gegen den Autor, weil der Text zerstört wird; gegen den Leser, weil er an der Lektüre gehindert wird. Es ist die große formale Sensibilität der Ausführung, in erster Linie aber die inhaltliche Konsequenz in der Gestaltung, die diese Aggression zu einer intellektellen Provokation abschwächt.
Verbindend ist der Mut zur Farbe sowie das Talent zur präzisen Abstimmung der Farbtöne aufeinander. Diese Farben spielen miteinander, verstärken sich in ihrer Wirkung. Es sind auch in der Farbbehandlung malerische Titel. Charakteristischer noch ist vielleicht das Spiel mit dem Untergrund, dem Materialton. Er wird stets aktiviert. Umschlagentwürfe von Piet Gerards stellen den Druckfarben als zusätzliche Farbe den Farbton des Trägers zur Seite.
Gerards weiß um die Leuchtkraft der Farbflächen - die unter dem Eindruck des Druckrasters schwindet. Aus den Prozeßfarben zusammengesetzte Farbflächen, die im übereinanderdruck gerasterter Farbauszüge der vier Druckfarben (Cyan, Magenta, Yellow, Black) entstehen, kommen deshalb kaum vor. Gerards entscheidet sich regelmäßig für den aufwendigeren Weg: Er wählt Sonderfarben, die in einem eigenen Druckgang aufgetragen werden. Um den Aufwand in einem vertretbaren Rahmen zu halten, beschränkt er sich dabei auf wenige Farbtöne.
Wieviel eine Buchinszenierung auf der kurzen Wegstrecke vom Umschlag bis zum Haupttitel andeuten kann, ohne viel zu enthüllen, sehen wir bei [11].* Eigentlich sind es nur die Farben. Das Graupapier des Umschlags lebt. Der einfarbig schwarze Druck streicht seine Wärme erst richtig heraus. Die Oberfläche fühlt sich weich an, beinahe textil. Beim Aufschlagen wird die dunkelgraue Broschur sichtbar; der Schmutztitel ist weiß, der Text weit angesperrt. Dadurch wirkt das Wortbild federleicht, es verdunkelt die weiße Fläche kaum. Der Haupttitel dagegen eine Explosion. Die dunkle, dramatische Zeichnung von Gilbert de Bontridder auf der gegenüberliegenden Seite läuft über den Bund hinaus auf den Haupttitel über. Die wenigen Zeilen sind aus drei verschiedenen Schriften einer Schriftfamilie gesetzt, sie vibrieren vor Spannung, sie versuchen den Raum zu sprengen, der durch die Zeichnung definiert wird. Die Textzeilen, die auf dem Umschlag zu schweben scheinen, dort bloße Verheißung, gewinnen an Kraft durch den auf sie ausgeübten Druck. Bei der Betrachtung der Zeichnung kommt die eigentliche überraschung: Man meint sie bereits zu kennen. Die Inszenierung führt zwangsläufig auf diese Zeichnung hin. In der textilen Struktur des Umschlagpapiers, der Wärme und Tiefe des Materials, in Formen und Duktus der Schriftzeichen ist die Zeichnung mit ihrer Dynamik, sind die Fliehkräfte innerhalb des Formates bereits vorweggenommen. Der Farbeindruck wird durch einen technischen Kniff verstärkt. Die Abbildungen sind, um die lichten und mittleren Töne zu stärken, im Duplexverfahren gedruckt. Im Duplexdruck wird eine einfarbige Abbildung im Druck zweifarbig wiedergegeben, wodurch sie an Zeichnung und Tiefe gewinnt. Hier hat Gerards nun als Stützfarbe eben das dunkle Warmgrau der Broschur gewählt. Oder umgekehrt, das Papier zu seiner zweiten Farbe gesucht?
[15]* führt spielerisch in den Text ein - den grotesken Versen über den menschlichen Verdauungsapparat und den Zeichnungen angemessen. Eine gelbe Fläche auf dem weißen Umschlag, wenige Millimeter des weißen Randes bleiben an allen Seiten sichtbar. Das Weiß wird auch hier als Farbe angestoßen. Ausgespart sind die 26 Buchstaben des lateinischen Alphabets, ein leichter Rasterton Gelb druckt mit und hält die Buchstaben auf der Fläche fest. Auch hier ein kleines Spiel im Spannungsverhältnis zwischen Schrift und Text: Die Buchstaben, aus denen sich das Wort Alphabet zusammensetzt sind kursiv gesetzt. Das ganze Wort ‘Alphabet’ (niederländisch: alfabet), aber nicht alle Buchstaben des Alphabets. Das Gelb der Fläche, das Blau des Titels und die rote Form (Assoziationen weckend, die ich nicht zu Papier bringen möchte): eine fröhliche, unbeschwerte Farbigkeit. Unerwartet dann das Vorsatzpapier in einem bläulichen Dunkelrot. Darauf abgestimmt die Broschur, unsichtbar unter dem Umschlag in Grau-Rosa. Es sind solche unerwarteten Kontraste und unvorhersehbaren Stimmungswechsel, die das Blättern in den Huis Clos Ausgaben zum Vergnügen machen. Auf dem Schmutztitel sieht man den Fuß einer Figur, ins Buchinnere fliehend, den doppelseitigen Haupttitel dynamisierend. Alles ganz leicht, ganz mühelos; selbstverständlich.
Schroffer, härter die [16].* Die Umschlagvorderseite vertikal geteilt in zwei gleichgroße Flächen, Rot und Schwarz. Von kräftigen Linien umrahmt eine ausgesparte weiße Fläche, darauf Autoren- und Titelzeile, durch ebenso starke Linien getrennt. Der schwarze Fond zieht sich durch auf die vordere Umschlagklappe und verbindet sich mit der schwarzen Broschur. Diese Härte wird vom Schmutztitel unvermittelt gebrochen: die zarte Schrift fordert nicht viel Aufmerksamkeit, es ist die Fläche selbst. Sie ist gar nicht weiß, rückseitig vollflächig rot bedruckt schimmert sie wolkig-rosig. Umblättern. Vollfläche Rot, leicht bläulich gebrochen, darauf folgend der Haupttitel: Eine zarte französische Renaissance-Antiqua, ganz klassisch: aufrechte, kursive und Kapitälchen-Schnitte kombiniert, mit einer kräftigen serifenbetonten Antiqua des 20. Jahrhunderts gemischt; das Zarte und das Starke verbinden sich.
Was kann ich über die Farbpalette sagen, wie sie für einen Typografen ungewöhnlich reich ist? Sie umfaßt bunte und gebrochene Töne. Farbe und Licht werden immer wieder eingeholt vom Schatten, dem, glaube ich, Gerards eigentliche Liebe gehört. So viele Grautöne, so bunte Grautöne: grüne, blaue, braune, rote Grautöne. Die Palette ist eher erdig als ätherisch, die Stimmung ist gedämpft. Das Leben ist endlich, zum Frohlocken besteht kein Anlaß, dennoch ist es reich an Abstufungen des täglichen Elends. Das Leben ist: grau-bunt.
Dies sind die sehr persönlichen Farben von Piet Gerards. Mit allen anderen der Geschichte der Typografie auch nur einigermaßen kundigen Kollegen teilt er den elementaren Dreiklang der typografischen Gestaltung: Weiß als Träger, Schwarz für den Text und Rot für die Auszeichnungen. Gutenberg und die vielen namenlosen Schreiber vor der Erfindung der Buchdrucks haben es bereits so gehalten. Alternative für und Ergänzung zum Rot war auch damals Blau. Eine Farbkombination, die immer funktioniert - auf die allzu häufig zurückzugreifen allerdings auch Zeichen von Ideenlosigkeit sein kann.

TEXTGESTALTUNG
Piet Gerards ist Verleger. Er ist Buchgestalter und er ist Typograf, malerischer Typograf. All dies sind verschiedene Facetten einer Obsession. Diese Ausgabe zeigt die Umschlagvorderseiten aller Veröffentlichungen von Huis Clos - aber keine Textseiten. Weswegen Auslassungen über die typografische Gestaltung der Seiten für den Leser nicht nachvollziehbar sind. Andererseits aber ist ein Text über einen Typografen unvollständig, der dieses Thema ganz meidet. Gestatten Sie mir deswegen bitte einige kurze, allgemeine Bemerkungen, die unabhängig von der genauen Kenntnis einzelner Bände Gültigkeit besitzen.
Eine der Grundfragen typografischer Gestaltung ist die nach der passenden Schrift für einen gegebenen Text. Piet Gerards teilt den Glauben an eine formale Entsprechung zwischen genau diesem Text und genau jener Satzschrift nicht. Die 24 Bände sind aus nicht mehr als einer Handvoll unterschiedlicher Schriften gesetzt, stilistisch teilweise nah verwandt. Es sind einerseits die Klassiker: Garamond (ihr eng verwandt die Sabon), Bembo und Caslon. Gediegene Schriften, typografische Arbeitspferde, weit verbreitete Schriften. Nichts außergewöhnliches. Andererseits das niederländische Schriftschaffen des 20. Jahrhunderts; Jan van Krimpen (Monotype Spectrum, dtl Haarlemmer) und die Entwerfer in Gerards eigener Generation mit ihren Schriften: Quadraat (Fred Smeijers), Scala (Martin Majoor), pmn Caecilia (Peter Mattias Noordzij). Achtzehn von 24 Bänden sind aus einer dieser Schriften gesetzt.
Daraus läßt sich kein Desinteresse an Schrift als Gestaltungsmittel ableiten; im Gegenteil, Piet Gerards verfolgt das zeitgenössische Schriftschaffen genau. Das Büro kauft viele Schriften - um immer wieder auf die altvertrauten zurückzufallen. Für Gerards ist die Schrift kein eigenständiges Gestaltungsmittel. Sie soll sich dem Text und dem Entwurf unterordnen. Er liebt es nicht, wenn sich einzelne Formen einer Schrift in den Vordergrund drängen. Er verwendet ‘seine’ Schriften - nüchtern, formal streng und straff in der Linienführung - weil sie seiner Gestaltung entsprechen. Schriften ohne Zierat, Schriften, die dienen und sich im Hintergrund halten, deren Schönheit erst auf den zweiten Blick sichtbar wird. Für eine nüchterne Typografie mit trockenem Witz und überraschungen, die nicht auf formaler, sondern auf inhaltlicher Ebene zünden. [13],* ein Wandkalender im großen Format, stellt sechs dieser von Piet Gerards geliebten modernen niederländischen Schriften vor. Er zeigt mit Groß- und Kleinbuchstaben, Sonderzeichen und Ziffern den ganzen Zeichensatz. Teilformen einzelner Zeichen werden hervorgehoben, deren besondere grafische Qualität in der starken Vergrößerung sichtbar wird. Piet Gerards hat ein besonderes Gespür für die verschiedenen Qualitäten von Schrift. Er erkennt formale Raffinesse in den Details, er kann mit Schrift Spannung erzeugen, Räume dramatisieren und Bilder malen - und er kann Text gut lesbar in der Kolumne anordnen.
Das Problem des Satzspiegels, die Anordnung des Textes auf der Seite, wird von Piet Gerards für jeden Band neu gelöst. Es gibt keine Regeln, keine Gewohnheiten. Regelmäßig setzt die Raumverteilung auf der Doppelseite mit ihren Besonderheiten das Thema für die gesamte Gestaltung. In den frühen Bänden sind die Proportionen recht konventionell, Gerards muß sich die Freiheit erst erarbeiten, die in den späteren Bände sichtbar wird. Diese Freiheit bedeutet nicht zwangsläufig eine Ablehnung der Konventionen - sie bestreitet nur ihre Verbindlichkeit. [14]* ist so ein Beispiel für klassische Proportionen. [23]* zeigt, daß Piet Gerards gerne dicht an den Rändern arbeitet. Nur am Fuβ der Seite bleibt ein wenig Platz für den Daumen. Ganz unkonventionell der Satzspiegel von [9].* Links die Federzeichnungen von Joseph Kerff, rechts die schmale Textkolumne mit dem extrem breiten Bundsteg. Durch diese sehr ungewöhnlichen Proportionen bekommen die Abbildungen mehr Raum (und gelegentlich greifen sie sogar über den Bund hinaus auf die Textseite über) und die sehr kurzen Textstücke bekommen, ohne daß die Schriftgröße absurd gesteigert würde, mehr Körper.
Eine Herausforderung bei der Konzeption illustrierter Bücher ist die Balance zwischen Text und Bild. Piet Gerards arbeitet gerne mit Künstlern zusammen; Künstlern, die nicht in erster Linie Illustratoren sind. Sie arbeiten autonom, ihre Beiträge schaffen sich eigene inhaltliche Ebenen. Die Verbindung zwischen Text und Bild ist dementsprechend lose. Schwierig wird die Balance dadurch, daß Formensprache und Helligkeit des Textes einen Bezug zur Bildebene haben sollen. Die Positionierung der Abbildungen im Text soll die Aufmerksamkeit sinnvoll zwischen den beiden Ebenen wechseln lassen.
Den Grafiken in [15]* gesellt sich der Text in einem verhältnismäßig kleinen Grad mit hellem Schriftbild zur Seite. So kommen die zarten Grautöne der ätzradierung zur Geltung. Die harten Federzeichnungen, kräftige Striche und schwungvolle Schraffuren der Zeichnung von Gèr Boosten in [10],* harmonieren bestens mit der Scala: Sie hat kantige Formen, ruppige übergänge und, bei geringem Strichstärkenkontrast, kräftige Serifen. Ebenfalls gesetzt im kleinen Grad, damit die Federzeichnung nicht in den Hintergrund gedrängt wird. Die Tuschezeichnungen von Joseph Kerff in [7]* dominieren die links stehenden Textkolumnen im kleinen Grad und werden durch die deutlich größer gesetzten Kolumnen auf den rechten Seiten im Gleichgewicht gehalten.
Eine Ausstellung besteht nicht aus einem Entree und Details - der Kern ist das Konzept. Es klärt, wie das vorhandene Material in eine aussagekräftige Form gebracht wird - oder ob das Material selbst vielleicht ergänzt oder ausgedünnt werden muß. Welche Aussage getroffen werden soll; welche Aspekte herausgearbeitet werden und welche eventuell vernachlässigt werden können. Buchgestaltung meint nicht nur die grafische Anordnung auf der Seite - es geht immer auch um das große Ganze.
Piet Gerards ist ein konzeptioneller Kopf. Manche seiner Bücher sind von großer Komplexität, mehrere Inhaltsebenen sind miteinander verwoben. Für diese Unterscheidungen gilt es formale Umsetzungen zu finden. Piet Gerards denkt ebenso intellektuell wie visuell. Er kann gedanklich eine Struktur erarbeiten und diese sehr intuitiv in Gestaltung übertragen. Dabei ist er kritisch, auch und besonders sich selbst gegenüber. Er mißtraut den eigenen Lösungen, sucht immer nach dem Besseren. Visuelle und intellektuelle Prozesse greifen dann ineinander und befruchten sich gegenseitig.
Er ist kein Egomane. Er ist der Motor hinter den Projekten - aber er ist offen für Ideen und Anregungen, die an ihn herangetragen werden. Er nimmt sie auf und arbeitet, teilweise verbissen, daran weiter. Er beherrscht dabei sowohl die induktive als auch die deduktive Arbeitsweise. Er kann von einem visuellen Phänomen oder einem grafischen Einfall ausgehend diese Idee so lange bearbeiten, variieren und inhaltlich aufladen, bis am Ende des Prozesses ein tragfähiges Konzept entsteht. Er kann aber auch, ausgehend von einem inhaltlichen Konzept, die gestalterische Form entwickeln. Immer hat er ein sicheres Gespür dafür, wann es genug ist, wann weitere gestalterische Arbeit das Resultat nur noch verwässern oder unnötig komplizieren würde.
Piet Gerards liebt die Herausforderungen, die sich aus komplexen inhaltlichen Strukturen für den Gestalter ergeben. Er thematisiert das Mit-, Neben- und Nacheinander verschiedener Ebenen, seien es Text- oder Bildebenen. Daraus gewinnt er den Rhythmus, die Dynamik und Spannung, die seine Bücher für den Leser so zwingend und mitreißend machen. Das Geheimnis könnte darin liegen, daß er selbst neugierig ist: Neugierig auf das Neue, das immer dann entsteht, wenn Inhalt in eine Form gebracht wird. Ihm hilft dabei eine seltene Mischung von Talenten. Er hat ein sehr feines Textempfinden und ein präzises, beinahe mathematisches Empfinden für Formen und Farben. Seine Bücher wirken deshalb so besonders reich, weil Inhalt und Form besonders eng miteinander verwoben sind.
So verbindet [7]* zwei Textebenen und eine Bildebene zu einem Buch. Die beiden Textebenen laufen, in unterschiedlichen Satzspiegeln und Textgraden, parallel zueinander: Der ‘journalistische’ Text auf den linken Seiten (schmale Kolumne und kleiner Textgrad erinnern an Zeitungskolumnen). Der ‘literarische’ Text (Satzspiegel wie in einem Buch, großer Grad) auf den rechten Seiten. Die Illustrationen, künstlerische Tuschezeichnungen von Joseph Kerff (ohne direkten inhaltlichen Bezug), sind, anders als man das vielleicht erwarten würde, zwischen die Zeilen des ‘journalistischen’ Textes gesetzt worden. Dies sind gestalterische Grenzverschiebungen; die Gestaltung spielt mit dem Text - ohne ihn jedoch zu dominieren. Sie ist, ein deutlicher Hinweis auf ihren Urheber, selbstironisch und bescheiden. Auch zwingt sie ihren Humor und ihre Andeutungen niemandem auf; wer sehen will, der sieht - und wer die Anspielungen übersehen möchte, dem bleibt auch dies freigestellt.
Noch vielschichtiger ist [19].* Auf dem vorderen Umschlag steht, durchlaufend auf die Umschlagklappe und Innenseite, der einleitende Text über das Werk; niederländisch und englisch, illustriert. Ein Flickenteppich von Text und Bildern, auf dem der Leser dennoch ‘seine’ Textkolumnen findet. Die Lagen und Schichten wollen erarbeitet werden; die Gestaltung zitiert darin die Collagen von Schwitters. Im Heft wechselt dann die Leserichtung; die Zeilen laufen parallel zum Bund (was eine Drehung um neunzig Grad erfordert). Der englischsprachige Originaltext von Stefan Themerson läuft in wechselnden Spaltenbreiten, rot gedruckte handschriftliche Anmerkungen des Autors gliedern und kommentieren den Text. Hier erschließt sich der Sinn der ungewohnten Handhabung: Das Heft ist nicht als Abfolge einzelner Doppelseiten konzipiert, sondern als ‘time chart’, der chronologisch Person und Werk des Kurt Schwitters vor dem Hintergrund der kulturhistorischen Entwicklungen des ausgehenden 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vorstellt. Der Satz parallel zum Bund ermöglicht erst den Fluß der Zeit, gibt dem Mahlstrom der Geschichte Raum. Innerhalb der von Themerson erdachten Konzeption des ‘time chart’ wird das komplexe Material mit seiner ausgesprochen engen Interaktion von Text und Bild gestalterisch vorbildlich zusammengefaßt. Das Problem der Zweisprachigkeit in diesem Layout wird durch lose transparente Seiten gelöst, die, über die entsprechende Heftseite gelegt, die niederländische übersetzung zugänglich machen.
Einen ebenso innovativen Ansatz bietet die [20].* Im ersten Teil oben auf der Seite die fotografische Reproduktion des in polnischer Sprache erschienenen Reglements, unten die niederländische übersetzung. Die Länge der Titelei ist danach ausgerichtet, daß die Reproduktion der Seite 1 des Reglements in der Huis-Clos-Ausgabe auf Seite 11 steht - und sich das Buch im Buch so harmonisch fügt. Ebenso raffiniert ist das Zusammenspiel der beiden Sprachebenen im zweiten Teil, der neben einem Essay von Karol Lesman Werke des Künstlers und deren zum Teil sehr umfangreiche Legenden zeigt. Von Doppelseite zu Doppelseite wechselnd steht entweder auf der linken Seite in der linken oberen Ecke eine Abbildung und auf der rechten Seite der niederländische Text - oder auf der linken Seite der polnische Text und auf der rechten Seite in der rechten oberen Ecke eine Abbildung. Da Text und Abbildung sich nicht direkt aufeinander beziehen, wird keine Sprache zurückgesetzt. Und auf jeder Doppelseite ist mindestens eine Seite von Interesse für jeden Leser (Text und Bild oder nur Bild). So stellt sich nicht das fade Gefühl ein, das Buch müsse wohl für einen anderen gemacht sein. Ein Gefühl, das sich bei der Lektüre vieler zweisprachiger Bücher einstellt, in denen beide Sprachen aufeinanderfolgend abgedruckt sind. Und für dieses wichtige Problem darf man in einer Huis Clos Ausgabe (völlig zu recht!) eine intelligente Lösung erwarten.
Bücher von Huis Clos sind gestalterische Wundertüten (die Inhalte ohnehin). Genießen Sie! Kaufen Sie die Regale leer, ordern Sie alle noch lieferbaren Titel! Viele sind es ohnehin nicht. Sorgen Sie dafür, daß noch zahlreiche Publikationen folgen.
Erwarten Sie kein Fazit, keine abschließende Würdigung: Das Kapitel Huis Clos ist noch lange nicht abgeschlossen. Huldigen Sie diesen wunderbaren Büchern lieber lesend. Und schämen Sie sich, Lebenszeit mit einem Text über diese Bücher anstatt mit den Büchern selbst zu vergeuden.

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